„Herz braucht Hirn“ oder „Die Sache mit den Flüchtlingen“


Ich weiß, eigentlich ist bereits genug zu der ganzen Flüchtlingsthematik geschrieben worden, aber nicht zuletzt aufgrund der Vorkommnisse in Köln, und vor allem deren undifferenzierten Blick auf die Bewertung des dort Geschehenen (Anmerkung: Ich verurteile das Geschehene zutiefst) ein paar Gedanken von mir zu dem Thema der Flüchtlinge und einer potenziellen Islamisierung unserer Gesellschaft.

Das Einfache an diesem Thema: Wir sind Menschen, daher kann man es gut erklären. Das Schwierige an diesem Thema: Wir sind Menschen, daher es ist es so schwer zu erklären.

Kurz vorneweg: Wir reden weltweit über 60 Millionen Flüchtlinge. Von diesen kommen 3,5% nach Europa bzw. 1,67% nach Deutschland. Diese 1 Millionen Flüchtlinge entsprechend 1,25% der deutschen Bevölkerung. Nur damit uns nochmal bewusst wird, über welche Dimensionen wir hier wirklich sprechen. 1,25%! (Ich stelle mir gerade vor, in wievielen Lebenlagen uns 1,25% ziemlich egal sind…)

Vorher kommt nun die Angst, die Sorge, der Hass gegenüber den Menschen, die zu uns kommen? Was ist es, das uns hemmt, die Herzen zu öffnen? Es ist das vermeintlich Fremde und das vermeintlich Feindliche im Fremden. Friedrich Nietzsche sagte, der Sinn der Gastfreundschaft liege darin, das Feindliche im Fremden zu lähmen. Freuen wir uns über Menschen, die jetzt zu uns kommen und uns beibringen, wie das geht. Das Rezept ist eigentlich einfach: das Fremde einfach so lange und so herzlich umarmen, bis das Feindliche erstickt.

Aber was ist eigentlich Fremd an den Menschen, die zu uns kommen? Ihr Aussehen? Ihr vermeintliches Denken? Ihre vermeintliche Religion (ein großer Teil sind übrigens Christen, wie wir), Ihre Sprache? Ihr Hintergrund? Ihre Geschichte?

Und was ist daran anders Fremd, als das was unseren Nachbarn kennzeichnet, den wir meinen zu kennen? Ich kenne die Gedankengänge meiner Nachbarn nicht. Auch nicht deren religiöse Einstellung? Ihre Muttersprache?  Ihren Hintergrund? Ihre Geschichte?

Begegnen wir diesen Menschen mit Feindlichkeit? Nein. Und warum nicht? Weil wir ihnen kennenlernen durften. Weil wir mit unseren Nachbarn Kontakt haben. Weil wir mit ihm sprechen. Weil wir ihm Fragen stellen können. Das allein reduziert unsere Angst vor dem Fremden, vor dem vermeintlich Feindlichen.

Wer von Ihnen (Hand aufs Herz), hat mit einem Flüchtling persönlich Kontakt gehabt, mit ihm geredet oder ihn versucht kennenzulernen bevor er sich erlaubt hat ein Urteil zu sprechen? Wir alle wissen wieviel einfacher es ist in Zeiten von anonymen Kommentarfunktionen im WWW Meinungen kundzutun, ohne vorher die eigene Erfahrung, sprich die persönliche Begegnung, gemacht zu haben. Und wir alle wissen, wieviel einfacher es ist mit dem Strom zu schwimmen, und Menschen die sich als Experten bezeichnen (und Ihre Expertise dabei nicht selten mit Selbstbewusstsein + Erfahrung verwechseln) zu folgen („Authority Bias“ und „Follow the Herd Bias“ für jene, die sich in der sozialen Psychologie auskennen). Und dann passiert so etwas wie in Köln und schwupps, sehen wir unsere Annahmen über das Fremde direkt wieder bestätigt, ohne die Fakten von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen (8000/Jahr) in Deutschland von Deutschen entsprechend gegenüber zu stellen. Im Übrigen: Würden wir Frauen dieses Denkmuster von Köln übernehmen, müssten wir jedem Mann (99% jener Taten werden von Männern verübt) potenziell erstmal ein grundsätzlichen Drang zu solchen Taten unterstellen..

Verrückterweise gibt es andere Bereiche, in denen uns Andersartigkeit keine Sorgenfalten auf die Stirn treibt, obwohl wir dort dem gleichen Phänomen des Fremden begegnen: Und das ist der Sport bzw. konkreter gefasst der Fußball: Die deutsche Nationalelf sah 2014 zwar anders aus als noch 1990, 1974 oder 1954, ist aber für das heutige Deutschland so repräsentativ wie es die „alten“ Nationalmannschaften waren. Und auch wenn es immer wieder Stimmen gibt, dass “ ja keiner mehr einen wirklich deutschen Namen hat“, so ist dieser Fakt beim Gewinn der WM ruck zuck vergessen. (im Übrigen hier ein schönes Quiz dazu.)  Wir sehen also, es geht um die Wahrnehmung, nicht um angeblich objektive Gegebenheiten wie Rasse oder Ethnie, die die Zugehörigkeit zu einer „imagined community“ möglich machen – voraussgesetzt man will zu dieser community dazugehören.

Somit kehren wir zum größten Problem zurück: „It takes two to Tango“. Nicht nur die autochthone Gesellschaft sollte bereit sein, eine romantische Definition von Volk und Nation aufzugeben und somit auf bestimmte Elemente der historischen Homogenität zu verzichten – von der Hautfarbe bis hin zur kulinarischen Präferenz. Auch die Einwanderer müssen die Idee einer Parallelgesellschaft aufgeben. Als allererstes muss deshalb die Sprachbarriere wegfallen und zeitgleich Möglichkeiten zur Arbeit geschaffen werden. Daher sind Integrations- und Sprachkurse unumgänglich und sollten im Falle von Verweigerung auch mit entsprechenden Sanktionen verhängt werden.

Und doch: Trotz der islamistischen Tendenzen in Europa und in den Ursprungsländern der Flüchtlinge wie Syrien oder Irak muss die heutige Masseneinwanderung nicht in einen Religionskrieg auf europäischem Boden ausarten.  Der „clash“ ist nicht prädestiniert, wenn gegenseitige Toleranz wieder zur Grundlage der Politik gemacht wird. Wenn man sich mit der Idee eines sich verändernden, eines veränderbaren Europas (und Deutschland) versöhnt. Wenn man im Prozess der Sozialisation den „harten Kern“ der Verfassungswerte von den unwesentlichen Elementen der Traditionen unterscheidet, kann das Experiment gelingen. Erfahrungsgemäß verläuft die erste Phase nicht reibungslos, darauf muss man gefasst sein. Es lauern auch die Ewiggestrigen und die Rechtsradikalen auf ihre Chance.

Aber wohlgemerkt: Europa hat sich in der Vergangenheit mehrfach radikal verändert – der 30 jährigen Krieg, die Reformation, die französische Revolution, der zweite Weltkrieg waren tiefe Einschnitte, haben jeweils eine neue Phase eingeleitet, die mit demographischen Wandlungen auch einhergingen. Wenn man es der Verfassung, nicht der ethnischen Zugehörigkeit, als Aufgabe zuweist, diese Wandlung zu meistern, ist auch der neue Versuch nicht zum Scheitern verurteilt.

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